Regie als Visualisierung dramatischer Texte und als Experimentierfeld

Kuba, Rumänien und die ehemalige sowjetische Moldau-Republik sind die einzigen romanischen Länder, in denen der sogenannte real-existierende Sozialismus Staatsdoktrin und -praxis gewesen ist. Um die Situation der Regisseure anschaulich zu machen, werde ich einen zeitlichen Abstecher in das Jahr 1971 machen - damals hatte der bis dahin als antisowjetisch und scheinbar prowestlich geltende Präsident Ceaușescu China einen Besuch abgestattet und nach der Rückkehr eine in den sozial-politischen wissenschaftlichen Untersuchungen einmütig als "Juli-Kulturrevolution" benannte Kehrtwende ausgelöst. Zur selben Zeit beabsichtigte Vlad Mugur, Leiter des Klausenburger Nationaltheaters und einer der bedeutendsten Regisseure Rumäniens, Shakespeares "Hamlet" zu inszenieren; nun kam ein Schreiben von der Bukarester zentralen Kulturverwaltung, er möge doch eine Inhaltsangabe des Stückes für die Genehmigung schicken. So weit kann die Verflechtung von Theater und sozialer Wirklichkeit gehen. Wer hatte wen hier ad absurdum geführt? Vlad Mugur blieb als Künstler nur die Emigration übrig. Er setzte seine Karriere mit Erfolg in Deutschland fort, lange Zeit in Konstanz. Aber dass die Brecht'sche Didaktik und Aufklärungskraft des "Theaters im und für den Sozialismus" in diesem Falle eine eigenartige Dimension erringen würde, zeigte sich nach der politischen Wende, als Vlad Mugur einer der Ersten war, der wieder in Rumänien inszenierte. Nicht nur an rumänischen Häusern, sondern auch an ungarischen, wohl um zu zeigen, dass Kunst sich vom billigen Nationalismus, der gerade Anfang der neunziger Jahre offen oder verdeckt von den Regierenden praktiziert wurde, abhebt. Sein persönliches und ästhetisches Schicksal markierte vor einem Jahr das Theaterleben und gab der Trauer um seinen unerwarteten Tod jene "Ebene", in der Kraft und Überwindung für jeden ersichtlich wurden. Vlad Mugur wusste, dass er unheilbar an Krebs erkrankt war, zog aber der minimalen Hoffnung auf eine medizinische Heilung die uralte "Arznei" der Bühnenarbeit vor und inszenierte, nach 30 Jahren, seinen "Hamlet" als eine Art theatralisches Testament. Das Bühnenbild schuf der auch nach Deutschland emigrierte aber in Rumänien weiterhin populäre Helmut Stürmer. Vor seinem Tod gab es eine Vorpremiere an "seinem" Haus.(16) Ein sehr ergreifendes und überzeugendes Beispiel des "Theaters nach dem Sozialismus".

Eine ähnliche Qualität - Theater zwar belehrend, aber in erster Linie doch künstlerisch wertvoll - versuchte schon zwei Monate nach dem Sturz des Diktators der schon seit 1969/1970 in den USA wirkende Andrei Șerban, eine Generation jünger als Vlad Mugur. Auch in diesem Fall hat sich zusätzlich der massive Stau in der postkommunistischen Mentalität exemplarisch gezeigt, nicht nur im größten Teils der Presse, die gerade damals noch reflexartig regierungshörig war, sondern auch in der Haltung von Theaterkollegen, die dem neuen Leiter des Bukarester Nationaltheaters schaden wollten. Da er die Verbindungen zu seiner Heimat nicht abgebrochen hatte, wusste er, dass ein radikaler Neubeginn notwendig war und entschied sich für den Rückgriff auf den Ursprung des Theaters. Trilogia antică war seine erste Produktion. Sie sollte eine klare Trennlinie zur vorgefundenen Theaterpraxis darstellen, in der "Situationen und Personen falsch sind".(17) Dafür hatten er und seine Assistentin Priscilla Smith eine Truppe junger Schauspieler ausgewählt. Der Erfolg war international: Gastspiele in Paris, Mailand, Edinburgh, von Peter Stein nach Salzburg eingeladen, erster Preis bei der Biennale in Sao Paolo. Während der Proben hatten Bergarbeiter, die in einer gesteuerten Aktion per Bahn aus dem Schiltal herbei geholt worden waren, die Hauptstadt in Angst und Schrecken versetzt. Sie sollten die für eine tiefgreifende Befreiung vom Kommunismus protestierenden Studenten einschüchtern. Im Endeffekt entlarvten sie aber nur die reale Machtkonstellation und schadeten dem internationalen Ruf Rumäniens immens. Wie so oft war eine solche Aktion kontraproduktiv; der barbarische Übergriff wirkte auf die künstlerische Arbeit eher stimulierend. Die "Entweihung der Präsidentenloge", auf die später Tocilescu auch bei seiner Caragiale-Inszenierung zurückgreifen wird, die freie Bearbeitung von Euripides' "Die Troerinnen", die letzte amerikanische Produktion "Wer braucht das Theater" von Timberlake Werterbaker, das Stück, welches das Auswahlverfahren für die Trilogie-Truppe thematisierte und eine "Kirschgarten"-Inszenierung waren gerade für die jungen Theaterschaffenden richtungsweisend. Die Leitung eines 500-Angestellten-Hauses in Zeiten wirtschaftlicher Not stellte Andrei Șerban vor großen Schwierigkeiten. Der Widerstand, der ihm oft offen entgegenschlug, verbitterte ihn und führte im Dezember 1993 zu seiner Rückkehr in die USA. Gegenwärtig ist er Leiter des "Columbia University-Theatre".

Vorwiegend in Amerika arbeitete auch Liviu Ciulei, eine der komplexesten Gestalten des rumänischen Nachkriegstheaters. Er gehört zu denjenigen, die Anfang der Sechziger die Diskussion zur Öffnung des Theaters angezettelt hatten, wirkte nicht nur als Regisseur, sondern auch als Bühnenbildner und oft als Schauspieler. Er drehte Filme, die aus der Geschichte dieses Genres nicht wegzudenken sind. UNITER, der Dachverband der rumänischen Theaterschaffenden, verlieh ihm im Jahre 2001 die höchste Auszeichnung für das gesamte künstlerische Wirken: Premiul de excelență.(18)

Lucian Giurchescu ist nach Dänemark emigriert, Radu Penciulescu nach Schweden gegangen, Lucian Pintilie nach Paris, David Esrig lebt und wirkt in Deutschland - der Aderlass, den der Weggang dieser strahlenden Generation, zu der auch der vorhin schon genannte Vlad Mugur gehörte, war schmerzlich, gab aber den von ihnen ausgebildeten Schülern die Möglichkeit, neue und anregende Wege zu gehen.

Lange vor Ceaușescus Sturz lobte die Theaterkritik die Dramatisierung und Inszenierung von Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita" durch Cătălina Buzoianu.(19) In den letzten Jahren setzte sie dieses experimentelle Genre der theatralischen Bearbeitung von Prosatexten mit Vorlagen von Gabriela Adameșteanu, Panait Istrati und Mircea Cărtărescu fort. Für die Zeit vor und nach 1989 müssen noch Dinu Cernescu, Alexa Visarion(20) und Alexandru Tocilescu genannt werden. Letzter machte 1999 mit seiner Vision von Ion Luca Caragiales "O scrisoare pierdută" (Ein verlorener Liebesbrief) regelrecht Furore.(21) Man kann diese Aufführung als gelungene Selbstfindung des Theaters nach schweren politischen, sozialen und kulturellen Erschütterungen bezeichnen. Das Publikum staunte sprachlos und das Lachen blieb vielen im Hals stecken. Der Text, in den Schulen Rumäniens Pflichtlektüre, zeigte bei dieser Inszenierung in aller Schärfe seine Aktualität. Die politischen Intrigen, im Stück Motor des dramatischen Geschehens, wurden auf der Bühne mit Hilfe von Handys gesponnen, die Personen spielten Tennis und benahmen sich auch sonst genauso wie die Neureichen, welche die sogenannte Revolution hervorgebracht hat. Die Verflechtung von klassischer Vorlage und den unterschiedlichsten theatralischen Gestaltungsformen war so geschickt gewählt, dass ich den Eindruck hatte, viele Zuschauer wüssten nicht mehr richtig, was Spiel und was Realität sei. Als sich das versöhnende Ende der ganzen Komödie auf der Zentralloge abspielte, die Ceaușescu für sich besonders pompös hatte gestalten lassen, stand einem der ganze Kitsch und die dargestellte Verkommenheit buchstäblich bedrohend im Nacken.

Aus Platzmangel muss ich mich darauf beschränken, die wichtigsten Regisseure alphabetisch aufzuzählen: Radu Afrim, Felix Alexa, Radu Apostol, Bocsárdi László, Anca Bradu, Theodora Hergheliu, Alexandru Dabija, Alexandru Darie, Mircea Cornișteanu, Victor Ioan Frunză, Tompa Gábor, Claudiu Goga, Alexander Hausvater, Christian Juncu, Vlad Massaci, Mihai Măiniuțiu, Sorin Militaru, Theodor Christian Popescu. Mit Silviu Purcărete beende ich diesen Abschnitt - er und Dan Puric haben in den letzten Jahren große Erfolge im Ausland verbucht und die Öffnung, die Andrei Șerban eingeleitet hatte, fortgeführt. Dies braucht das rumänische Theater notwendiger denn je.