Rumänien - Theater und Dramatik in neuer Kulisse nach 1990

September 2002

Wollte man sich in Rumänien Anfang der siebziger Jahre auf die Suche nach der Wahrheit wagen, gab es außer der Philosophie im klassischen Sinne nur das Theater, das einen dazu ermunterte. Dieses feierte einen Erfolg nach dem anderen, die Säle waren - weil es in der Regel gutes Theater war - immer ausverkauft, und wenn es zum Vorstellungsbeginn dunkel wurde, entstand zwischen Bühne und Publikum eine Art magnetisches Fluidum, in dem Unwahres höchstens als Parodie gelten konnte. Der beim Erdbeben 1977 verstorbene Toma Caragiu schaute sich zum Beispiel in der Hauptrolle in Dürrenmatts "Meteor" bei der berühmten Szene mit den Grabkränzen kurz in den vorderen Reihen um, wo in der Regel die politische Spitze Platz zu nehmen pflegte, und legte dann los. Der gerade immer deutlicher werdende Diktator-Kult blieb nicht unverschont, zum befreienden Lachen der im Dunklen Aufgeweckten. Dies hatte sozialtherapeutische Folgen, man erlebte alles in Gemeinschaft und staunte über die Vielfältigkeit der zum Andersartigen und doch so nahen, zum Ritual erhobenen Sprache, über die Magie des Körperausdruckes, des Raums; man erfuhr das Licht wieder als Wunder, aber nicht im religiösen Sinne. Dramatiker, die zusammen mit den Regisseuren und den Schauspielern es erreicht hatten, die stumpfe Zensur zu hintergehen, waren gefeierte Anders-Menschen, denn ihr literarischer Pulsschlag hatte, wie immer in Glanzzeiten des Theaters, den gesamten Zuschauerraum durchdrungen. Dichter, Philosophen, Maler und Bildhauer waren hingegen zum einsamen Durchhalten verdammt. Die Bühnenbildner durften experimentieren und der geisttötenden Linearität der sozialistischen Neubausiedlungen trotzen. Ob einheimische Klassiker, allen voran Ion Luca Caragiale oder Camil Petrescu, oder jene der Weltliteratur - in der scheinbaren Dunkelheit der Theatersäle wurde Normalität exerziert und gefeiert.

In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre spitzte sich alles zu. Ubu Roi schien sich realiter geschaffen zu haben, als genüge die ästhetische Kraft des Theaters nicht. Das ganze Land fror, im Winter wurden manchmal sogar die meteorologischen Kältewerte offiziell geschönt, es gab Strom nach grotesken Zufallskriterien, im Fernsehen war immer dasselbe zu sehen, in der Zeitung dasselbe zu lesen, im Radio dasselbe zu hören - aber das Theater "blieb heiss" und überlebte: In ihm blieb nur das künstlerische Grundritual dasselbe.

Es gab sie zwar nicht mehr alle, die vielen bewunderten Regisseure, weil sich einige ins Ausland abgesetzt hatten. Aber die Schauspieler, durch die Sprache an den Ursprung ihres Daseins gebunden, waren geblieben und harrten aus. Sie belebten Abend für Abend mit ihrem Spiel das lebenswichtige Fluidum. Dann kam der große Knall Weihnachten 1989. Die Menschen verließen die Theatersäle, rannten auf die Straßen, schrien nach Freiheit, griffen sogar zu den Waffen und viele starben, damit dieses Wahrheitsfluidum sich mit der Alltagsluft mischen sollte. Doch es kam anders. Eine neue Funktionärsclique ersetzte die alte und es folgte eine permanente Restauration, die noch bis jetzt mit Dinosaurierzähigkeit durchgesetzt wird. Einige Jahre lang war das Theater dadurch wie gelähmt, hinzu kamen wirtschaftliche Engpässe, es konnte, durfte und wollte aber nicht erstarren. Dann fand es allmählich zu der alten Kraft zurück, und diese Entwicklung möchte ich in den wichtigsten Zügen skizzieren. Zu Beginn werde ich mich der Dramatik als literarische Gattung widmen.